Wozu ist ein internationaler Freiwilligendienst eigentlich da?
Es
gibt böse Stimmen, die sagen, es handele sich hierbei vielleicht um
einen “Abenteuerurlaub auf Staatskosten". Ob
das der Weisheit letzter Schluss bezweifele ich persönlich ziemlich
stark.
Zunächst
sammelt man bei einem internationalen Freiwilligendienst natürlich
internationale Arbeitserfahrung, hilft bei der Arbeit einer NGO,
tritt für Menschen oder die Umwelt ein, baut Vorurteile ab und
poliert natürlich seinen Lebenslauf ein wenig auf.
Gestern
wurde mir jedoch bewusst wie viel mehr man aus einem solchen Jahr
mitnehmen kann, wenn man es wirklich möchte.
Alles
begann Freitagabend, als wir gerade unsere Hindistunde beendet
hatten, und die nächsten Schüler in das Apartment von Trevor,
unserem Hindilehrer, kamen. Wir unterhielten uns mit Trevor über das
anstehende Festival „Navratri“(auf das ich sicher nochmal
eingehen werde), und die Möglichkeit, Klamotten dafür zu kaufen,
als sich eine junge Taiwanesin aus der nachfolgenden Klasse zu Wort
meldete und uns anbot, am nächsten Tag mit ihr und ein paar anderen
Kleidung kaufen zu gehen. Wir sagten zu und wussten noch gar nicht
genau, worauf wir uns da eingelassen hatten.
Am
nächsten Tag hatten wir die Adresse, die uns gegeben wurde schon
nach 30 Minuten Suche gefunden und wurden von unserer neuen Bekannten
am Eingang in Empfang genommen.
Wenig
später betraten wir das Apartment und uns wurde unsere Begleitung
vorgestellt. Langsam begannen wir zu verstehen worauf wir uns da
eingelassen hatten. Wir sollten einkaufen gehen mit Jenny aus dem
Hindikurs, einer Freundin von ihr aus Taiwan, ihrer indischen
Schwiegermutter und ihrer indischen Schwägerin. Eine gemixt
indisch-taiwanesische Familie und wir mitten drin.
Nachdem
wir einen heftigen Regenschauer abgewartet, Chai, Saft und Wasser
getrunken und die letzten Kekse aufgegessen hatten, ging es auch
schon los. Das gerufene Auto stand bereit und wir machten uns auf den
Weg zu den ersten Läden. Im Auto war nur Platz für 4 Personen aber
wir waren 5, so wurde es eine sehr kuschelige Fahrt auf der Rückbank.
Angekommen
im Laden wurde Kleidung anprobiert und viel geredet. Schon im
Apartment hatten wir festgestellt, dass wir uns mit unserer
Begleitung sehr gut und offen unterhalten konnten, was sehr schnell
zu einer sehr angenehmen Atmosphäre führte. Wir unterhielten uns
über unseren Freiwilligendienst, Studium, traditionelle Kleidung,
Ahmedabad und vieles mehr.
Nach
den ersten 2 Läden, sollte sich die Gruppe aufteilen, wir sollten
mit der Schwiegermutter zu einem anderen Laden, während die anderen
noch eine Weile bleiben wollten. Plötzlich saßen wir mit einer uns
eigentlich komplett fremdem Frau im Auto, die wir erst 2 Stunden
zuvor kennen gelernt hatten und fuhren zum Kleidung kaufen und
sammelten dabei viele Tipps zum Thema Essen gehen.
Nach
der Wiedervereinigung mit der anderen Gruppe in Laden 3, ging es zu
Laden 4 wo wir Joanna, eine weitere Deutsche, trafen, die zusammen
mit Jenny Hindiunterricht bei Trevor nimmt.
Schließlich
war es halb 7 Uhr abends und unsere taiwanesisch-indisch-deutsche
Einkaufsgruppe ging auseinander, wir wurden von Jenny und ihrem
Ehemann, der gerade von der Arbeit kam zurück zum CEE gebracht.
Jenny werden wir erst in einem Monat wieder sehen, da sie eine Zeit
lang in Taiwan ist, ihre Schwiegermutter jedoch sehen wir vermutlich
diesen Dienstag wieder, da sie noch ein paar Kürzungen an den
Klamotten von Lisa (meine Mit-freiwillige beim CEE) vornimmt.
An
dieser Stelle sei angemerkt, dass ich für mich leider keine passende
Kleidung für Navratri gefunden habe.
Der
Abend
Dem
aufmerksamen Überschriftenleser mag aufgefallen sein, dass in dieser
Geschichte bisher die versprochene kanadische Komponente fehlt. Doch
der Tag ist auch noch nicht zuende.
Zum
Abendessen traf ich mich mit einer Kanadierin aus unserem Hindikurs
und einer indischen Freundin von ihr, die als Lehrerin in einem
kleinen Dorf einige Stunden vor Ahmedabad unterrichtet. Da sie das
traditionelle Essen in ihrem Dorf leid war, gingen wir in ein
westlicheres Restaurant und aßen Nudeln, was freundlich gesagt eine
ganz besondere Erfahrung ist. Nach dem Abklappern der obligatorischen
Small-Talk-Themen wurden die Themen schnell interessant, wir redeten
über das Müllsystem in unseren Ländern, über den Klimawandel, der
sich in Kanada immer mehr bemerkbar macht, die Vertreibung der
Rohingya in Burma, das Massaker vor 15 Jahren in Ahmedabd mit ca. 800
toten Muslimen unter der Landesregierung des heutigen
hindunationalistischen Premierministers Narendra Modi, Pressefreiheit
und Demokratie in Indien und die Frage, welche Privilegien man heute
noch als Angehöriger der höchsten Kaste der Brahmanen hat.
Was
ist an diesem Tag passiert? Sind Freundschaften entstanden? Ich
glaube nicht. Es sind Bekannschaften entstanden, aus denen
Freundschaften entstehen können. Ich habe das Gefühl, sollte ich in
Taiwan stranden und nicht wissen wohin, habe ich plötzlich eine
Anlaufstelle. In Indien habe ich dieses Gefühl schon länger, aber
was bewirken solche Treffen noch?
Dinge
sind einem nicht mehr egal. Der Konflikt zwischen Taiwan und China?
Klar, den gibt es, aber erst heute habe ich mir 2 Stunden lang
Artikel zu diesem Thema durchgelesen. Erst heute habe mich mit
Pressefreiheit in Indien beschäftigt.
In
einer Welt, in der es so scheint, dass den meisten Menschen das
Schicksal anderer Menschen egal ist (gucken wir nur auf Situationen,
wie wir sie auf dem Mittelmeer, der Sahara, im Jemen, in Burma, dem
Sudan oder anderen Regionen der Welt haben), scheint mir diese
Entwicklung wichtiger als je zuvor.
Nachtrag:
Es ist Montag und ich habe eine dunkelblaue lange Kurta und eine
passende Hose für Navratri gefunden.
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