Social Day: Deutschland, Indien, Taiwan, Kanada (Der Sinn des Freiwilligendienstes)



Wozu ist ein internationaler Freiwilligendienst eigentlich da?
Es gibt böse Stimmen, die sagen, es handele sich hierbei vielleicht um einen “Abenteuerurlaub auf Staatskosten"Ob das der Weisheit letzter Schluss bezweifele ich persönlich ziemlich stark.

Zunächst sammelt man bei einem internationalen Freiwilligendienst natürlich internationale Arbeitserfahrung, hilft bei der Arbeit einer NGO, tritt für Menschen oder die Umwelt ein, baut Vorurteile ab und poliert natürlich seinen Lebenslauf ein wenig auf.
Gestern wurde mir jedoch bewusst wie viel mehr man aus einem solchen Jahr mitnehmen kann, wenn man es wirklich möchte.
Alles begann Freitagabend, als wir gerade unsere Hindistunde beendet hatten, und die nächsten Schüler in das Apartment von Trevor, unserem Hindilehrer, kamen. Wir unterhielten uns mit Trevor über das anstehende Festival „Navratri“(auf das ich sicher nochmal eingehen werde), und die Möglichkeit, Klamotten dafür zu kaufen, als sich eine junge Taiwanesin aus der nachfolgenden Klasse zu Wort meldete und uns anbot, am nächsten Tag mit ihr und ein paar anderen Kleidung kaufen zu gehen. Wir sagten zu und wussten noch gar nicht genau, worauf wir uns da eingelassen hatten.
Am nächsten Tag hatten wir die Adresse, die uns gegeben wurde schon nach 30 Minuten Suche gefunden und wurden von unserer neuen Bekannten am Eingang in Empfang genommen.
Wenig später betraten wir das Apartment und uns wurde unsere Begleitung vorgestellt. Langsam begannen wir zu verstehen worauf wir uns da eingelassen hatten. Wir sollten einkaufen gehen mit Jenny aus dem Hindikurs, einer Freundin von ihr aus Taiwan, ihrer indischen Schwiegermutter und ihrer indischen Schwägerin. Eine gemixt indisch-taiwanesische Familie und wir mitten drin.
Nachdem wir einen heftigen Regenschauer abgewartet, Chai, Saft und Wasser getrunken und die letzten Kekse aufgegessen hatten, ging es auch schon los. Das gerufene Auto stand bereit und wir machten uns auf den Weg zu den ersten Läden. Im Auto war nur Platz für 4 Personen aber wir waren 5, so wurde es eine sehr kuschelige Fahrt auf der Rückbank.
Angekommen im Laden wurde Kleidung anprobiert und viel geredet. Schon im Apartment hatten wir festgestellt, dass wir uns mit unserer Begleitung sehr gut und offen unterhalten konnten, was sehr schnell zu einer sehr angenehmen Atmosphäre führte. Wir unterhielten uns über unseren Freiwilligendienst, Studium, traditionelle Kleidung, Ahmedabad und vieles mehr.
Nach den ersten 2 Läden, sollte sich die Gruppe aufteilen, wir sollten mit der Schwiegermutter zu einem anderen Laden, während die anderen noch eine Weile bleiben wollten. Plötzlich saßen wir mit einer uns eigentlich komplett fremdem Frau im Auto, die wir erst 2 Stunden zuvor kennen gelernt hatten und fuhren zum Kleidung kaufen und sammelten dabei viele Tipps zum Thema Essen gehen.
Nach der Wiedervereinigung mit der anderen Gruppe in Laden 3, ging es zu Laden 4 wo wir Joanna, eine weitere Deutsche, trafen, die zusammen mit Jenny Hindiunterricht bei Trevor nimmt.
Schließlich war es halb 7 Uhr abends und unsere taiwanesisch-indisch-deutsche Einkaufsgruppe ging auseinander, wir wurden von Jenny und ihrem Ehemann, der gerade von der Arbeit kam zurück zum CEE gebracht. Jenny werden wir erst in einem Monat wieder sehen, da sie eine Zeit lang in Taiwan ist, ihre Schwiegermutter jedoch sehen wir vermutlich diesen Dienstag wieder, da sie noch ein paar Kürzungen an den Klamotten von Lisa (meine Mit-freiwillige beim CEE) vornimmt.
An dieser Stelle sei angemerkt, dass ich für mich leider keine passende Kleidung für Navratri gefunden habe.

Der Abend

Dem aufmerksamen Überschriftenleser mag aufgefallen sein, dass in dieser Geschichte bisher die versprochene kanadische Komponente fehlt. Doch der Tag ist auch noch nicht zuende.
Zum Abendessen traf ich mich mit einer Kanadierin aus unserem Hindikurs und einer indischen Freundin von ihr, die als Lehrerin in einem kleinen Dorf einige Stunden vor Ahmedabad unterrichtet. Da sie das traditionelle Essen in ihrem Dorf leid war, gingen wir in ein westlicheres Restaurant und aßen Nudeln, was freundlich gesagt eine ganz besondere Erfahrung ist. Nach dem Abklappern der obligatorischen Small-Talk-Themen wurden die Themen schnell interessant, wir redeten über das Müllsystem in unseren Ländern, über den Klimawandel, der sich in Kanada immer mehr bemerkbar macht, die Vertreibung der Rohingya in Burma, das Massaker vor 15 Jahren in Ahmedabd mit ca. 800 toten Muslimen unter der Landesregierung des heutigen hindunationalistischen Premierministers Narendra Modi, Pressefreiheit und Demokratie in Indien und die Frage, welche Privilegien man heute noch als Angehöriger der höchsten Kaste der Brahmanen hat.
Was ist an diesem Tag passiert? Sind Freundschaften entstanden? Ich glaube nicht. Es sind Bekannschaften entstanden, aus denen Freundschaften entstehen können. Ich habe das Gefühl, sollte ich in Taiwan stranden und nicht wissen wohin, habe ich plötzlich eine Anlaufstelle. In Indien habe ich dieses Gefühl schon länger, aber was bewirken solche Treffen noch?

Dinge sind einem nicht mehr egal. Der Konflikt zwischen Taiwan und China? Klar, den gibt es, aber erst heute habe ich mir 2 Stunden lang Artikel zu diesem Thema durchgelesen. Erst heute habe mich mit Pressefreiheit in Indien beschäftigt.
In einer Welt, in der es so scheint, dass den meisten Menschen das Schicksal anderer Menschen egal ist (gucken wir nur auf Situationen, wie wir sie auf dem Mittelmeer, der Sahara, im Jemen, in Burma, dem Sudan oder anderen Regionen der Welt haben), scheint mir diese Entwicklung wichtiger als je zuvor.

Nachtrag: Es ist Montag und ich habe eine dunkelblaue lange Kurta und eine passende Hose für Navratri gefunden.

Geschrieben am 18.09.2017





Kommentare